Die rund 80 seniorTrainerinnen aus ganz MV sind mit hohen Erwartungen zu ihrer Fachtagung am 23.5.2024 nach Schwerin gekommen. Auf dem Programm steht ein hochaktuelles Thema: „Medien in der Demokratie – was Medien dürfen und sollen“. Es geht um Meinungsfreiheit und Medienkompetenz, um Medienvielfalt und die Verantwortung der Journalisten, um Neue Medien und Künstliche Intelligenz und um den Bildungsauftrag von Schule und Öffentlich-rechtlichen Medien. Sieben Expertinnen und Experten beleuchten diese Fragen aus unterschiedlichen Blickwinkeln und bieten nicht nur viel Fachwissen, sondern geben auch reichlich Impulse für Diskussion und weitere Recherche.
In Sachen Medienkompetenz gebe es großen Nachholbedarf, sagt Helga Bomplitz, Vorsitzende des Landesringes M/V des Deutschen Seniorenringes, zum Auftakt. Auch ihr falle das Erkennen von Fehlinformationen und Fake-News nicht immer leicht. „Um kompetent die Gesellschaft mitgestalten zu können, sind wir auf solide, faktenbasierte Informationen angewiesen“, betont sie. Sie habe Hochachtung vor Journalisten, die sich ihrer Verantwortung bewusst seien. „Wir dürfen uns nicht daran gewöhnen, dass Journalisten bei ihrer Arbeit angepöbelt, bedroht und sogar angegriffen werden“, sagt sie mit Nachdruck. Meinungsfreiheit sei ein hohes Gut – man müsse dann aber auch damit leben, dass man Widerspruch erfahre. Kritik übt Bomplitz an der medialen Darstellung des Alters. „Wir Älteren seien eine Belastung für die Gesellschaft, seien schwach, hilflos und pflegebedürftig und würden die Jungen ausplündern“, beschreibt sie das in den Medien gezeichnete Negativbild der älteren Generation. Es müssten vielmehr die Vielfalt, die Stärken und Kompetenzen der Älteren sichtbar gemacht werden.
Corinna Pfaff, Geschäftsführerin des Deutscher Journalistenverbandes in M-V, stimmt den Forderungen der Senioren an die Medien zu: „Hauptaufgabe der Medien ist es, die Öffentlichkeit mit relevanten Informationen zu versorgen, den Mächtigen auf die Finger zu schauen, aufzudecken, was falsch läuft in der Gesellschaft, Hintergründe zu recherchieren – das macht guten Journalismus aus.“ Hierfür brauche es eine vielfältige Medienlandschaft. Noch sei MV keine mediale Wüste – es gebe mehrere Tageszeitungen, zwei Nachrichtenagenturen, Öffentlich-rechtliche TV- und Radioanstalten sowie viele lokale private TV-Sender. Aber durch die Konzentration der Medien in den Händen weniger gewinnorientierter Konzerne entstünden Lücken in der qualitätvollen Berichterstattung. Besonders der Lokaljournalismus leide unter dieser Entwicklung – die ausgedünnten Redaktionen könnten nicht mehr nah bei den Menschen, bei ihrer Lebenswirklichkeit sein. Dies eröffne Lücken für private Initiativen, aber auch für Fehlinformationen und Fake-News. „Das ist eine große Gefahr für die Glaubwürdigkeit der Medien und damit letztlich auch für die Demokratie“, sagt Pfaff und betont: „Medienvielfalt und Meinungsvielfalt sind keine Selbstverständlichkeiten, aber unverzichtbar in der Demokratie!“
„Die Demokratie braucht gut informierte Bürgerinnen und Bürger“, stimmt Dr. Sascha Hölig vom Hamburger Leibniz-Institut für Medienforschung den Vorrednerinnen zu. Seine Studie „Mediennutzung und politische Kultur in Mecklenburg-Vorpommern“ habe gezeigt, dass die Menschen in MV sehr wohl wissen wollen, was in ihrem Bundesland passiere. „Von Interesselosigkeit kann überhaupt keine Rede sein!“, betont Hölig. Die wichtigsten Informationsquellen seien Radio und Fernsehen. Die Nutzung gedruckter Informationen dagegen gehe stark zurück. Zusätzlich würden sich nicht nur die Jüngeren, sondern auch die Älteren online informieren. „Von digital abgehängt sind wir weit entfernt“, resümiert der Medienwissenschaftler. Er räumt auch mit einem weiteren Klischee auf: „Das Bild einer Polarisierung der Gesellschaft, das in den Sozialen Medien vermittelt wird, hat wenig mit der gesellschaftlichen Wirklichkeit zu tun.“ Voraussetzung, sich in „Filterblasen und Echokammern“ zu verfangen, sei, dass man sich ausschließlich in den Sozialen Medien informiere. Dies würde aber nur auf ein Prozent der Bevölkerung zutreffen. Mut mache auch ein weiteres Ergebnis der repräsentativen Studie: Die Mehrheit sehe die Demokratie als die beste Regierungsform an. Abstriche bei ihrer Zufriedenheit machten viele aber beim Funktionieren der Demokratie in MV und in der Bundesrepublik.
Prof. Dr. Roland Rosenstock von der Universität Greifswald beleuchtet Segen und Fluch der neuen Medien. Der Lehrstuhlinhaber für Praktische Theologie, Religions- und Medienpädagogik wirbt für eine differenzierte Beurteilung der neuen Medien und der Nutzung von Künstlicher Intelligenz (KI). „Die Diskussion hierzu wird noch nicht intensiv genug geführt“, so seine Einschätzung. Mehr als die Hälfte der Menschen glaube, dass die Digitalisierung eine Gefahr für die Demokratie darstelle. Rosenstock räumt ein, dass KI-generierte Texte, Bilder und Videos für Desinformation missbraucht werden können und auch missbraucht werden, zum Beispiel im aktuellen Wahlkampf. Dabei gehe es nicht ausschließlich um Falschinformation, sondern zumindest um Verunsicherung. Deshalb sei es umso wichtiger, kritisch zu sein, sich breit zu informieren und Quellen zu hinterfragen. „Verbreiten Sie nichts weiter, wenn Sie die Quelle nicht kennen“, so sein nachdrücklicher Appell. Zugleich aber gelte es, die Vorteile von KI zu kennen und zu nutzen. Auch im Ehrenamt könne KI nützlich sein, zum Beispiel beim Erstellen von Texten und bei Routineaufgaben.
Medienkompetenz als Bildungsauftrag ist das Thema von Olaf Müller. Selbstverständlich habe die Schule einen Bildungsauftrag, der mehr umfasse als nur Wissensvermittlung, betont der Referent für Medienbildung beim Medienpädagogischen Zentrum der Landesregierung. „Bildung geht nicht ohne Wissen – aber Bildung ist mehr als Wissen!“, stellt er klar. Ziel der Bildung sei es, „die Welt zu sehen, wie sie ist“. Besonders junge Menschen, die sehr viel in digitalen Medien unterwegs seien, müssten lernen, ihre Informationen aus unterschiedlichen Quellen zu beziehen und diese Quellen immer wieder kritisch zu hinterfragen. Das alles schließe nicht aus, „die Welt zu träumen, wie sie sein soll“.
Einen Bildungsauftrag hätten, im Gegensatz zu privaten Medien einschließlich der Zeitungen, auch die Öffentlich-rechtlichen Medien, schließlich seien sie gebührenfinanziert.
Bernd Mosebach, Leiter des ZDF-Landesstudios M-V, beschäftigt sich mit der Frage, welchen Beitrag der Öffentlich-rechtliche Rundfunk (ÖRR) zum Gemeinwohl leisten muss und leistet. Laut Medienstaatsvertrag hätten die ÖRR-Medien den klaren Auftrag, „die demokratischen, sozialen und kulturellen Bedürfnisse der Menschen zu befriedigen, hierzu ein breites Gesamtangebot an alle zu unterbreiten und damit den gesamtgesellschaftlichen Diskurs zu befördern“. Die Interessen Einzelner seien dabei durchaus relevant – aber immer in angemessener Relation zu den gesamtgesellschaftlichen Bedürfnissen. „Der Druck auf die Öffentlich-rechtlichen wächst“, so Mosebach. Das zeige nicht zuletzt die Debatte um den Rundfunkbeitrag. Aber gerade angesichts der Tatsache, dass die journalistische Vielfalt schmelze und der Populismus immer mehr Raum greife, sei der ÖRR mehr denn je als „Scharnier zwischen Regierung und Öffentlichkeit“ unverzichtbar. Modebachs Appell an die seniorTrainerinnen: „Informieren Sie sich breit! Prüfen Sie die Quellen! Bleiben Sie kritisch!“
„Der Öffentlich-rechtliche Rundfunk steht wie noch nie in der öffentlichen Kritik“, räumt Joachim Böskens, Direktor des NDR-Landesfunkhauses, ein. Journalismus sei heute angesichts der demografischen Entwicklung, der Sozialen Medien und des Personalabbaus extrem schwierig. „Aber wir machen unseren Job – unabhängig und staatsfern“, bekräftigt er. „Das ist unsere DNA!“ Für die Kontrolle der Unabhängigkeit sorgten Verwaltungsrat und Landesrundfunkrat. „In diesen Gremien dominieren nicht die Parteien, ihnen gehörten Menschen aus den unterschiedlichsten Bereichen und Institutionen an.“
Abschließend befragt der Schweriner seniorTrainer Claus Oellerking Michael Seidel, bis vor kurzem Chefredakteur der Schweriner Volkszeitung, zur Zukunft der lokalen Tageszeitungen. Mit dem Kauf der SVZ durch die Schwäbische Verlagsgruppe, die 2021 bereits den Nordkurier übernommen hatte, wechselte Seidel auf die Position des Unternehmenssprechers. „Ganz ohne Frage führt die Medienkonzentration zur Ausdünnung der Medienvielfalt und zu Personalabbau“, muss Seidel einräumen. „Jetzt entscheiden Betriebswirte, welche Redaktion sich das Unternehmen noch leisten kann/will“. Dennoch werde es auch auf lange Sicht noch die gedruckte Regionalzeitung geben“, ist sich Seidel sicher. „Die Leute wollen lesen, was in ihrem Lebensumfeld passiert.“ Jedoch werde sich die Zeitung weg vom Nachrichten-Medium hin zum Einordnungs-Medium entwickeln. Und für die Zustellung der Zeitungen, vor allem im dünn besiedelten ländlichen Raum, müssten neue logistische Lösungen gefunden werden. Seidel wirbt um Verständnis, dass die Tageszeitung nicht von allen Initiativen der zahlreichen Vereine und Initiativen berichten könne. „Wir sind ein Massenmedium – daran orientiert sich unsere Themenauswahl.“ Auch KI kommt zur Sprache. „Wir nutzen jetzt schon KI“, sagt Seidel und nennt als Beispiele die Rechtschreibkontrolle, das Erstellen von Grafiken und die Entlastung der Redakteure bei aufwendigen Recherchen. „Wenn wir KI-bearbeitete Artikel veröffentlichen, kennzeichnen wir das“, betont er.