Gleichwertigkeit bedeutet nicht Gleichheit – diese Grundüberzeugung teilten die rund 100 Teilnehmenden und die Referentinnen und Referenten der Fachtagung der seniorTrainerinnen am 2. November 2023. Bei der Bewältigung der vielfältigen aktuellen Probleme gehe es vielmehr um Chancengleichheit für alle – unabhängig vom Wohnort – und auch um ein vorurteilsfreies Miteinander von Ost und West.

Eine klare Absage an eine neue Ost-West-Debatte erteilte gleich zum Auftakt Helga Bomplitz, Vorsitzende des Landesringes M-V des Deutschen Seniorenringes. Die Kategorisierung der Ostdeutschen in „Sozio-Ostdeutsche mit Osthintergrund“, „Emo-„ „Bio-“ und „Geo-Ostdeutsche“ schüre neue Kontroversen und trage nicht zur konstruktiven Lösung der zahlreichen gesamtdeutschen Probleme bei. „Wenn wir so weitermachen, dauert es noch Jahrzehnte, bis wir begreifen, dass wir nur gemeinsam etwas erreichen können“, so Bomplitz. Sie verurteilte die Äußerungen von Springervorstand Mathias Döpfner, die Ostdeutschen würden nie Demokraten, als unverschämt und respektlos. „Was seniorTrainerinnen mit ihrem Engagement leisten, ist Demokratie pur!“, betonte sie.

Auch Ministerpräsidentin und Schirmherrin der Tagung Manuela Schwesig würdigte in ihrer Video-Botschaft das Engagement der 800 seniorTrainerinnen im Land: „Sie sind eine starke, tragende Stütze des Ehrenamtes!“ Um gleichwertige Lebensverhältnisse erreichen zu können, brauche es aber auch gute Rahmenbedingungen, fügte sie hinzu.

„Der Versuch, Ost und West gegeneinander auszuspielen, ist vollkommen neben der Spur“, fand auch Loring Sittler, Berater für Fragen des gesellschaftlichen Wandels. Er appellierte an die Ehrenamtlichen, sich „als Treiber vor Ort“ einzusetzen: „Fragen wir uns, was wir selbst dazu beitragen können, die Daseinsvorsorge vor Ort zu verbessern!“ Es brauche ein Miteinander von Staat, Wirtschaft und Bürgergesellschaft sowie verlässliche Rahmenbedingungen für ehrenamtliches Engagement. Gute Beispiele für vernetzte Seniorenarbeit seien unter anderem Seniorengenossenschaften.

Gleichwertigkeit sei nicht gleichbedeutend mit Gleichartigkeit, betonte Thomas Deiters vom Städte- und Gemeindetag M-V, jedoch müsse die Politik ein Mindestmaß an Homogenität sicherstellen. „Die nähere Ausgestaltung vor Ort liegt dann in der Verantwortung der Länder, Städte und Gemeinden – und im gesellschaftlichen Engagement der Bürgerinnen und Bürger.“

„Ist es wirklich so, dass sich die Lebensverhältnisse in Ost und West grundlegend unterscheiden?“, fragte Heiko Miraß, Parlamentarischer Staatssekretär für Vorpommern und das östliche Mecklenburg. Ja, es gebe Nachholbedarf in Ostmecklenburg und Vorpommern, aber die Unterschiede zum westlichen Landesteil hätten sich verringert. Er plädierte dafür, die lange, unterschiedliche Geschichte und Entwicklung der beiden Landesteile von M-V nicht außer Acht zu lassen. Bei aller Angleichung sollten die jeweiligen Besonderheiten von Vorpommern und Mecklenburg auch künftig Bestand haben. Als wichtige Zukunftsthemen nannte Miraß die Mobilität, die Sicherung der Grundversorgung, die Attraktivität der Regionen auch für junge Menschen, die Stärkung der regionalen Identität und die Förderung und Stärkung der Bürgerbeteiligung.

Ausgrenzung, Aggressivität und Diffamierung seien zurzeit leider oftmals wichtiger als Austausch und Respekt, beklagte Sozialministerin Stefanie Drese. „Verantwortung und Kompromissbereitschaft sind jedoch keine Schwäche, sondern die Stärke der demokratischen Gesellschaft“, betonte sie. Eine Gesellschaft lebe vom Miteinander, vom freiwilligen Engagement der Bürgerinnen und Bürger. „Sie sind mit Ihren vielfältigen Initiativen vor Ort Werbebotschafter für eine aktive Bürgerbeteiligung“, lobte Drese das Engagement der seniorTrainerinnen und versprach, dass die Landesregierung bis 2025 eine Ehrenamtsstrategie entwickeln würde, um die Rahmenbedingungen für das Ehrenamt zu verbessern und zu verstetigen.

Bürgermeister Ronald Radscheidt stellte Erfahrungen und Perspektiven bei der Entwicklung seiner Gemeinde Plate bei Schwerin vor. Dass die Gemeinde so gut dastehe, erklärt er mit der grundlegenden Strategie: „Statt Klienteldenken setzen wir auf Generationen übergreifende Projekte, Veranstaltungen und Aktionen!“ So könne man es schaffen, ein lebenswerter Ort für Alt und Jung zu sein. Das Genossenschaftsmodell wolle man in Plate bei dem geplanten Energiepark aufgreifen, den Gemeinde, Wirtschaft und Bürgergesellschaft gemeinsam realisieren wollen.

Jeder sollte – unabhängig vom Wohnort -, gut versorgt und gut angebunden sein an das gesellschaftliche Leben, sagte Christine Klingohr. Angesichts der dünnen Besiedelung und des demografischen Wandels stelle das den Landkreis Ludwigslust-Parchim vor große Herausforderungen, so die Landtagsabgeordnete und Vorsitzende des Finanzausschusses im Kreistag. Sie nannte als vordringliche Handlungsfelder die Sicherung der medizinischen Versorgung, die Verkehrsinfrastruktur, den Breitbandausbau und das Startup- und Gründerzentrum deve-LUP.

Klima- und Umweltschutz gehören auch zur Schaffung gleichwertiger Lebensverhältnisse, stellte Kristin Klinger klar, Geschäftsführerin der Klima- und Umweltstiftung M-V. Man dürfe Menschen mit ihren unterschiedlichen Lebensrealitäten nicht gegeneinander aufhetzen. „Diese Riesenaufgabe können wir nur gemeinsam angehen!“ Über das WIE könne man streiten, nicht aber über das WARUM.

Die Runde der Referenten beschloss Michael Seidel, Chefredakteur der Schweriner Volkszeitung. „Eine freie, unabhängige Presse ist für die Demokratie unverzichtbar“, sagte er und warnte vor dem Sterben täglich erscheinender Regionalzeitungen: „Dann ist keiner mehr da, der politische Aushandlungsprozesse in der Stadtvertretung oder im Kreistag erklärt und kritisch hinterfragt!“ Wichtig sei es, für mehr Medienkompetenz zu sorgen und die Menschen aller Altersgruppen zu Medien- und Quellenkritik zu befähigen.

Ehrung mit dem Ehrenamtsdiplom

Höhepunkt und Abschluss der Fachtagung war die Würdigung und Ehrung von sechs langjährig engagierten seniorTrainerinnen. Über das Ehrenamtsdiplom freuten sich Otto Woit (Mehrgenerationenhaus Torgelow), Wolfgang Werth (Seniorenbüro Neubrandenburg), Maria Lebek (Bürgerhafen Greifswald), Eberhard Lincke (Mehrgenerationenhaus Stralsund), Christel Adolph (Seniorenbüro Schwerin) sowie Helga Ketelhohn und Renate Engler (beide Rostocker Seniorenakademie).

Von admin

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